Erfinderische Tätigkeit und das Zett-Diagramm

S. V. Kulhavy (CH), Patent- und Markenanwalt


Die gesetzliche Grundlage

Art. 1, Abs. 2 CH-PatG lautet wie folgt: „Was sich in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt, ist keine patentfähige Erfindung". Wenn man diesen negativen Teil einer Alternative in das Gegenteil umwandelt, bekommt man die folgende Aussage: „Was sich nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt, ist eine patentfähige Erfindung". Diese alternative Betrachtungsweise erweckt den Eindruck, als wenn die Grenze zwischen den naheliegenden und den nicht naheliegenden neuen Lösungen die Form einer geraden Linie bzw. einer planen Fläche hätte. Diese Ansicht trifft nicht zu.

Wenn die Erfindungen nur Kombinationserfindungen wären, dann könnte die Erfindungsgrenze tatsächlich die Form einer geraden Linie bzw. einer planen Fläche haben. Die Erfindungen könnten oberhalb einer solchen Grenze liegen. Die naheliegenden Lösungen würden unterhalb dieser Grenze liegen. Bei den Erfindungen würde das lösungsgemäss verwendete technische Mittel als neu gelten. Bei den naheliegenden Lösungen würde das lösungsgemäss verwendete technische Mittel als bekannt gelten.

Nur, es gibt auch Erfindungen, die sich eines an sich bekannten technischen Mittels bedienen. Bestimmte solcher Lösungen sind sogar patentwürdig! Sie werden zum Beispiel An- bzw. Verwendungserfindungen, Auswahlerfindungen, Erfindungen der 2. medizinischen Indikation usw. genannt. Unter solchen Umständen steht die lösungsgemässe Verwendung eines bekannten technischen Mittels in solchen Erfindungen und in den naheliegenden Lösungen nebeneinander. Man kann sich vorstellen, dass solche Erfindungen durch eine Linie bzw. durch eine plane Fläche von den naheliegenden Lösungen getrennt sind. Dies ergibt ein balkenartiges Diagramm in Abb. 1, in dem die Erfindungsgrenze eingetragen ist. Die Erfindungsgrenze besteht im dargestellten Fall aus flächenhaften Abschnitten B4 + B3 + B2 + B1. Der Verlauf der Erfindungsgrenze im Balken erinnert an den spiegelverkehrt geschriebenen Buchstaben Zett. Deswegen wird dieses Diagramm auch Zett-Diagramm genannt.

Das Zett-Diagramm

Lösungen technischer Aufgaben nach ihrer Struktur

Je grösser die Differenz zwischen dem Inhalt des beurteilten Falles und dem Inhalt des nächstliegenden Dokuments des Standes der Technik ist, umso grösser ist der Abstand der betreffenden Lösungsart von der Neuheitsgrenze.

EV1 - neue Verwendung aufgrund einer bekannten Auswirkungsfähigkeit;
EV2 - neue Verwendung aufgrund einer beim verwendeten technischen Mittel zwar neuen jedoch im Voraus kausal ableitbaren Auswirkungsfähigkeit;
GE - gemischte Formen von Erfindungen;
AE - Auswahlerfindungen;
KE - Kombinationserfindungen;
nlL - naheliegende neue Lösungen = Evolute
VE - Verwendungserfindungen;
nptwAGGR - nicht patentwürdige Aggregate;
ptwAGGR - patentwürdige Aggregate.

Die Definition einer naheliegenden Lösung, d. h. eines Evoluts:
„Eine gewerblich anwendbare Lösung einer Aufgabe ergab sich in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik, wenn zur Lösung der Aufgabe ein bekanntes technisches Mittel aufgrund einer kausalen Auswirkungsfähigkeit neu verwendet wurde, die sich im Voraus kausal ableiten liess oder die bei diesem Mittel bereits bekannt war."

Abb. 1

Der Stand der Technik

Die vorne bzw. rechts unten liegende Endpartie des Balkens beinhaltet Lösungen des Standes der Technik, der zu einem bestimmten Zeitpunkt bestand. Dieser Stand der Technik wird relevanter Stand der Technik genannt. Die genannte Endpartie reicht von der vorne liegenden Stirnfläche des Balkens bis zu einer ersten Querwand im Inneren des Balkens, welche als „Neuheitsgrenze" angeschrieben ist. Diese erste Querwand besteht aus den Teilwänden B4 + B7 und sie ist plan. Diese Querwand B4 + B7 erstreckt sich zwischen den länglichen Seitenwänden B10 und B11 des Balkens. Die Lösungen, die als identisch vorveröffentlicht gelten, liegen im Inneren dieser vorderen Endpartie des Grundkörpers des Balkens, weil sie zum Stand der Technik gehören.

Die erste Querwand B4 + B7 im vorderen Endabschnitt des Balkens stellt die äussere Grenze des Standes der Technik dar, wenn man diese Querwand B4 + B7 aus dem Stand der Technik heraus betrachtet. Wenn man diese erste Querwand B4 + B7 jedoch von der gegenüber liegenden, d. h. von der hinteren Seite derselben her betrachtet, dann stellt diese Querwand B4 + B7 die minimale Neuheitsgrenze für die dahinter liegenden neuen Lösungen von Aufgaben dar.

Lösungen, die sich im übrigen bzw. rückwärtigen Bereich des Balkens, d. h. hinter der Querwand B4 + B7 befinden, weisen eine Differenz gegenüber dem nächstliegenden Dokument des Standes der Technik auf. Deswegen gelten solche Lösungen als neu. Je inhaltlich reicher diese Differenz ist, umso grösser ist der Abstand der beurteilten Lösung von der Neuheitsgrenze B4 + B7 innerhalb der übrigen Länge des Balkens.

Die Benützung eines bekannten technischen Mittels

An der vom Stand der Technik abgewandten Seite der Neuheitsgrenze B4 + B7 liegt eine Zone, welche recht komplex gestaltet ist. Eines der kennzeichnenden Merkmale dieser Zone ist, dass die hier angesiedelten Lösungen ein bekanntes technisches Mittel neu verwenden. Neu bedeutet, dass das bekannte technische Mittel lösungsgemäss an einem Objekt neuerdings verwendet wird, an dem dieses Mittel bisher noch nicht verwendet wurde. Das bekannte technische Mittel wurde somit auf ein anderes Objekt übertragen und deswegen wird diese Zone hier Zone der Übertragungen genannt.

Innerhalb der Übertragungszone befindet sich der mittlere Teil der Erfindungsgrenze, der aus den Wandabschnitten B3 + B2 besteht. Diese Wandabschnitte B3 + B2 liegen in einer gemeinsamen Ebene, die zu den länglichen Seitenwänden B10 und B11 des Balkens parallel verläuft. Dieser Mittelteil B3 + B2 der Erfindungsgrenze erstreckt sich zwischen der Wand der Neuheitsgrenze B4 + B7 und der Stirnwand B1 + B6 dieser Übertragungszone. Der Mittelteil B3 + B2 der Erfindungsgrenze kann auch als eine Längsinnenwand des Balkens genannt werden. Das an der Neuheitsgrenze anliegende Ende der Längsinnenwand B3 + B2 teilt diese erste Querwand des Balkens in die zwei bereits genannten Abschnitte B4 und B7 auf. Der links von der Längsinnenwand B3 + B2 liegende Abschnitt B4 der Neuheitsgrenze endet an der linken länglichen Seitenwand B10 des Balkens. Der rechts liegende Abschnitt B7 der Neuheitsgrenze endet an der rechts liegenden länglichen Seitenwand B11 des Balkens.

Naheliegende Übertragungen = Evolute

Im von der Längsinnenwand B3 + B2 rechts liegenden Teil der Übertragungszone liegen jene neuen Lösungen, welche ein bekanntes technisches Mittel an einem anderen Objekt als bisher verwenden, und zwar aufgrund einer bei diesem technischen Mittel bekannten kausalen Auswirkungsfähigkeit. Kausale Auswirkungsfähigkeit bedeutet, dass ein technisches Mittel in der Lage ist, an einem Objekt eine Änderung des Zustandes desselben kausal zu bewirken. Solche neuen Lösungen fallen unter alle Merkmale der Definition einer naheliegenden, d. h. einer nicht patentwürdigen Lösung. Deswegen stellen solche Lösungen keine Erfindungen dar. Im vorliegenden Text werden solche Lösungen Evolute genannt.

Der Bereich der naheliegenden Lösungen ist vorne und hinten durch die hintereinander liegenden kurzen Querwände B1 und B7 begrenzt. Seitlich ist der Bereich der naheliegenden Lösungen begrenzt links durch die Längsinnenwand B2 + B3 und rechts durch den sich zwischen den kurzen Querwände B1 und B7 erstreckenden Abschnitt der rechts liegenden Seitenlängswand B11 des Balkens. Dieser Bereich der Evolute ist mittels einer kurzen Querwand B13 in zwei Teile unterteilt. Diese Teile heissen Evolut 1 und Evolut 2.

Beim Evolut 1 wird ein bereits bekanntes technisches Mittel auf ein anderes Objekt aufgrund einer bei diesem technischen Mittel bereits bekannten Auswirkungsfähigkeit übertragen. Bekannt im Zusammenhang mit der Auswirkungsfähigkeit bei Evolut 1 bedeutet, dass diese Auswirkungsfähigkeit bei diesem Mittel bereits publiziert wurde.

Beim Evolut 2 wird ein bereits bekanntes technisches Mittel auf ein anderes Objekt aufgrund einer bei diesem technischen Mittel noch nicht publizierten Auswirkungsfähigkeit übertragen. Beim Evolut 2 liess sich die Auswirkung des lösungsgemäss benützten bekannten technischen Mittels am anderen Objekt jedoch im Voraus kausal ableiten. Ein solches Beispiel wird im Zusammenhang mit Abb. 2 (Garagenrasen) erläutert.

Abb. 2

Zu den Evoluten gehören auch die nicht patentwürdigen Aggregate. Bei nicht patentwürdigen Aggregaten besteht das in der Kennzeichnung eines zweiteiligen Patentanspruchs definierte „technische Mittel" in der Tat zum Beispiel aus zwei technischen Mitteln, von welchen jedes dieser zwei technischen Mittel eine andere Aufgabe löst und an sich ein Evolut ist.

Ein Evolut 2

Der Grundkörper beispielsweise von unterirdischen Garagen besteht normalerweise aus Beton. (Abb. 2) Die Oberfläche der Decke einer Garage kann als Rasenplatz ausgenützt werden. Normalerweise wird auf die Betondecke der Garage eine Schicht aus Steinen angebracht. Auf diese Steinschicht müsste eine Schicht aus Humus kommen, damit hier Gras wachsen kann. Der Rasen muss gesprengt werden und ausserdem regnet es auch. Man überlegte sich, dass Wasser Humus in die Spalte zwischen den Steinen mit der Zeit mitnehmen könnte. Daraus ergab sich die Aufgabe, wie verhindert werden kann, dass Wasser Humus in die Spalte zwischen den Steinen mit der Zeit mitnehmen könnte. Das mit einer Unannehmlichkeit behaftete Objekt war der Rasenplatz, der seine Humusschicht verlieren konnte.

Das Unterbewusste des Aufgabenlösers dachte darüber nach, wie verhindert werden könnte, dass das überschüssige Waser Humus in die Schicht aus Steinen bringen könnte, wobei es möglich sein sollte, dass Wasser durch die Steinschicht dennoch durchfliessen kann. Man erinnerte sich daran, dass Wasser von festen Stoffen mit Hilfe eines Siebes getrennt werden kann. Die ganze Oberfläche der Steinschicht mit einem Metallsieb zuzudecken, dies könnte eine teure Lösung dieser Aufgabe sein. Daraus ergab sich das Problem, wie man sich ein kostengünstigeres Trennmittel besorgen könnte. Man erinnerte sich daran, dass es Faservlies aus Kunststoff gibt. Die Abstände zwischen den benachbarten Fasern des Faservlieses sind so klein, dass das Vlies Humus zurückhalten kann, während Wasser durch das Vlies durchfliessen kann. So ist man auf die Idee gekommen, dass die Schicht aus den Kieselsteinen zunächst mit einer Schicht aus Faservlies bedeckt wird, und dass Humus erst auf diese Faservliesschicht gebracht wird.

Diese Lösung der genannten technischen Aufgabe liess sich im folgenden Patentanspruch definieren.
"Rasenplatz auf dem Dach eines Bauwerks, mit einer Schicht aus Steinen, die auf dem Dach des Bauwerkes angebracht ist, und mit einer Humusschicht, die sich über der Steinschicht befindet, dadurch gekennzeichnet, dass zwischen der Schicht aus den Steinen und der Schicht aus Humus Faservlies angeordnet ist."

Unter Faservlies versteht man verfestigte Vliesstoffe aus Stapelfasern und/oder Endlosfasern. Im vorliegenden Fall geht es um die Verwendung eines Glasfaservlieses. Faservlies gilt im vorliegenden Beispiel als das lösungsgemäss eingesetzte technisches Mittel. Die Auswirkungsfähigkeit dieses technischen Mittels besteht darin, dass das Faservlies Wasser durchfliessen lässt und Humus zurückhält.

Vliesstoffe hat man gemäss dem Stand der Technik mit grossem Erfolg zur Wärme- und Schallisolation in Gebäuden verwendet. In diesem Beispiel wurde Faservlies dagegen als ein Sieb verwendet. Es handelt sich somit um eine neue Verwendung eines bekannten technischen Mittels. Aufgrund der offensichtlichen kausalen Verhältnisse in diesem Lösungsganzen konnte man im Voraus ableiten bzw. konnte man sich im Voraus vorstellen, dass das Faservlies Humus von Wasser trennen wird. Deswegen war die Auswirkungsfähigkeit des Faservliesses in diesem neuen Anwendungsfall desselben im Voraus ableitbar. Das bekannte Faservlies wurde aufgrund einer bei diesem Vlies im Voraus ableitbaren Auswirkungsfähigkeit neu benutzt. Deswegen fällt diese Lösung unter die Definition einer naheliegenden Lösung und sie gilt daher nur als Evolut, und zwar als Evolut 2.

Anhand dieses einfachen Beispiels war es möglich, die Verwendung der Grundbegriffe der pragmatischen Beurteilungsweise der Erfindungen zu demonstrieren. Wenn in dieser Beschreibung die Redewendung „Man hat darüber nachgedacht" oder dgl. verwendet wurde, dann hat das Unterbewusste des Kreativen nachgedacht.

Erfinderische Übertragungen

Im von der Längsinnenwand B3 + B2 links liegenden Bereich der Übertragungszone liegen jene neuen Lösungen, welche sich zwar auch eines bekannten technischen Mittels bedienen, die Übertragung desselben erfolgt jedoch aufgrund einer beim bekannten technischen Mittel entdeckten kausalen Auswirkungsfähigkeit. Entdeckt bedeutet weder veröffentlicht noch im Voraus kausal ableitbar. Solche neuen Lösungen genügen jenem Merkmal der Definition einer naheliegenden Lösung nicht, in dem von der bekannten kausalen Auswirkungsfähigkeit die Rede ist. Aus diesem Grund ergaben sich solche neuen Lösungen aus dem Stand der Technik nicht in naheliegender Weise. Deswegen gelten solche Lösungen als patentwürdige Erfindungen. Alle Arten von Erfindungen, welche links von der Längsinnenwand B3 + B2 liegen, werden hier gesamthaft Erfindungen vom Typ Verwendung genannt. Der Bereich dieser erfinderischen Übertragungen ist begrenzt vorne und hinten durch die kurzen Querwände B4 und B6, rechts durch die Längsinnenwand B3 + B2 und links durch den sich zwischen den kurzen Querwänden B4 und B6 erstreckenden Abschnitt der links liegenden Seitenlängswand B10 des Balkens.

Die Anwendungserfindungen

An den Übergangsbereich zwischen den Abschnitten B2 und B3 der Längsinnenwand des Balkens schliesst sich eine kurze Querwand B5 einerends an. Das andere Ende dieser kurzen Querwand B5 liegt an der linken Seitenlängswand B10 des Balkens an. Der Bereich der Anwendungserfindungen ist begrenzt durch die zwei kurzen Querwände B5 und B6, gesehen in der Längsrichtung des Balkens, durch den oberen Abschnitt B2 der Längsinnenwand B3 + B2 sowie durch den Abschnitt der linken Seitenlängswand B10 des Balkens, welcher sich zwischen den kurzen Querwänden B5 und B6 erstreckt.

Die Auswahlerfindungen

Eine Auswahlerfindung ist erstens dadurch gekennzeichnet, dass sie nur einen Ausschnitt bzw. Bereich aus einem bekannten technischen Mittel lösungsgemäss ausnützt. Zweitens ist eine Auswahlerfindung dadurch gekennzeichnet, dass man beim genannten Ausschnitt eine kausale Wirkungsfähigkeit entdeckt hat, die bei diesem ausgenützten Ausschnitt noch nicht bekannt war. Solche neuen Lösungen genügen ebenfalls jenem Merkmal der Definition einer naheliegenden Lösung nicht, in welchem von der bekannten kausalen Auswirkungsfähigkeit des verwendeten bekannten technischen Mittels die Rede ist. Deswegen gilt die Auswahllösung als nicht naheliegend und daher als eine patentwürdige Erfindung. Ähnlich ist die Situation bei der 2. medizinische Indikation usw.

Der Bereich der Auswahlerfindungen ist begrenzt vorne und hinten durch die kurzen Querwände B4 und B5, rechts durch den vorderen Abschnitt B3 der Längsinnenwand B2 + B3 und links durch den sich zwischen den kurzen Querwänden B4 und B5 erstreckenden Abschnitt der links liegenden Seitenlängswand B10 des Balkens. Da die Differenz bei den Auswahlerfindungen „weniger an Neuheit" aufweist als die Differenz bei den Anwendungserfindungen, schliessen sich die Auswahlerfindungen an die Neuheitsgrenze B4 + B7 unmittelbar an. Da die Auswahlerfindungen selten vorkommen, ist der Bereich derselben in der Längsrichtung des Balkens kürzer als der Bereich der Anwendungserfindungen.

Die Kombinationserfindungen

Die Kombinationserfindungen bedienen sich lösungsgemäss eines neuen technischen Mittels. Wegen diesem neuen technischen Mittel genügt eine Kombinationserfindung jenem Merkmal der Definition einer naheliegenden Lösung nicht, in welchem vom bekannten technischen Mittel die Rede ist. Deswegen fällt die Kombination nicht unter die Definition einer naheliegenden Lösung und sie gilt daher als patentwürdige Erfindung.

Während die Übertragungen sich eines bekannten technischen Mittels bedienen, verwenden die Kombinationserfindungen ein neues technisches Mittel. Es ist bereits gesagt worden, dass der Abstand eines bestimmten Typs von Erfindungen von der Neuheitsgrenze B4 + B7 umso grösser ist, je grösser die Differenz zwischen dem Inhalt der Erfindung und dem Stand der Technik ist. Deswegen liegt das Gebiet der Kombinationserfindungen erst hinter der Zone der Übertragungen, d. h. erst hinter der Querwand B1 + B6. Der Bereich der Kombinationserfindungen ist demnach begrenzt vorne durch die Querwand B1 + B6, hinten durch eine weitere Querwand B9 im Balken und seitlich durch die zwischen diesen Querwänden liegenden Abschnitte der Längswände B10 und B11 des Balkens.

Die patentwürdige Aggregation

Eine patentwürdige Aggregation besteht aus zumindest zwei Erfindungen von demselben Typ, die im kennzeichnenden Teil eines einzigen zweiteiligen Patentanspruchs definiert sind. Solche Aggregationen beinhalten beispielsweise zwei Erfindungen, welche unabhängig voneinander existieren können und von welchen jede Erfindung eine andere Aufgabe löst. Die beiden Erfindungen sind im kennzeichnenden Teil eines einzigen zweiteiligen Patentanspruchs definiert. Solche Verbindungen zweier Erfindungen sind deswegen beliebt, weil eine solche Verbindung einen wortreichen Patentanspruch ergibt. Bei der bisherigen Beurteilungsweise von Erfindungen erweckte ein solcher Patentanspruch beim Beurteilenden den Eindruck, dass es unmöglich sei, dass sich eine so „komplexe" Lösung in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben konnte.

Wegen der Verbindung von zwei Erfindungen in einem Patentanspruch, ist die Differenz zwischen dem Inhalt eines solchen Patentanspruchs und dem Stand der Technik bei einer patentwürdigen Aggregation noch grösser als bei einer Kombinationserfindung. Deswegen liegt der Bereich der patentwürdigen Aggregationen im Balken erst hinter den Kombinationserfindungen. Der Bereich der patentwürdigen Aggregationen ist vorne durch die Querwand B9, hinten durch eine noch weitere Querwand B8 und seitlich durch die zwischen diesen Querwänden B8 und B9 liegenden Abschnitte der Längswände B10 und B11 des Balkens begrenzt.

Gemischte Erfindungen

Am grössten ist die Neuheits-Differenz bei den gemischten Erfindungen. Diese sind Erfindungen, welche aus zumindest zwei Erfindungen unterschiedlicher Typen bestehen, wobei diese Erfindungen im kennzeichnenden Teil eines einzigen Patentanspruchs definiert sind. Bei gemischten Erfindungen kann beispielsweise eine Verwendungserfindung in einer Kombinationserfindung eingebettet sein, oder umgekehrt. Gemischte Typen von Erfindungen gelten deswegen als patentwürdig, weil weder der Kombinationsanteil noch der Anwendungsanteil des Patentanspruchs unter die Definition einer naheliegenden Lösung fällt.

Die gemischten Formen von Erfindungen sind in der hinteren Endpartie des Grundkörpers des Balkens deswegen angesiedelt, weil die Neuheits-Differenz bei solchen Erfindungen noch grösser ist als bei den patentfähigen Aggregationen. Der Abstand der gemischten Erfindungen von der Neuheitsgrenze B4 + B7 ist so gross, dass die Patentämter, falls die Unterlagen der betreffenden Patentanmeldung auch den übrigen Anforderung genügen, Patente problemlos erteilen.

Ungünstig sind solche Patentansprüche für den Patentinhaber. Dies deswegen, weil eine Verletzung eines Patentrechts nur dann erfolgt, wenn alle Merkmale aus der Kennzeichnung eines zweiteiligen Patentanspruchs beim Verletzungsgegenstand ausgenützt werden. Wenn ein Anderer nur eine der Erfindungen aus dem kennzeichnenden Teil des Patentanspruchs benützt, dann verletzt er das Patent nicht, weil er die übrigen beanspruchten Erfindungen nicht gleichzeitig benützt.

Der Bereich der gemischten Erfindungen ist begrenzt vorne durch die weitere Querwand B8, hinten durch die Balkenhinterwand B12 und seitlich durch die zwischen diesen Querwänden B8 und B12 liegenden Abschnitte der Längswände B10 und B11 des Balkens.

Dynamische Situationen während der Beurteilung von Erfindungen

Je nachdem, wie sich die Situation betreffend die Dokumente des Standes der Technik während dem Beurteilungsverfahren entwickelt, kann die Art der beurteilten Lösungen ändern. Es sind viele Übergänge dieser Art möglich. Beispielweise kann eine Lösung, welche man zunächst für eine Erfindung gehalten hat, als identisch vorveröffentlicht gelten, falls ein Dokument des Standes der Technik ermittelt wurde, in dem der gesamte Inhalt des beurteilten Patentanspruchs offenbart ist. Dieser Übergang erfolgt durch Wandabschnitte B4 oder B7.

Im rechts liegenden Abschnitt B1 der Stirnwand B1 + B6 der Übertragungen befindet sich die Übergangsmöglichkeit von den Kombinationserfindungen zu den naheliegenden neuen Lösungen (Evoluten) oder durch den Wandabschnitt B7 sogar bis in den Stand der Technik, wenn sich die Lösung als identisch vorveröffentlicht erweist. Im Bereich des Wandabschnittes B2 der Längsinnenwand B3 + B2 befinden sich die Möglichkeiten für die Übergänge von den Erfindungen vom Typ Anwendungen zu den naheliegenden neuen Lösungen (Evoluten).

Die Möglichkeiten des Übergangs von den Auswahlerfindungen zu den naheliegenden neuen Lösungen befinden sich im Bereich des vorne liegenden Abschnittes B3 der Längsinnenwand B3 + B2. Der links liegende Abschnitt B4 der Neuheitsgrenze bietet die Möglichkeit des Übergangs von den Auswahlerfindungen aber auch der Anwendungserfindungen (B5) bis zu den identisch veröffentlichten Lösungen des Standes der Technik. Der Übergang von den naheliegenden neuen Lösungen zu den Lösungen des Standes der Technik befindet sich im Bereich des rechts liegenden Abschnittes B7 der Neuheitsgrenze usw.

Im Bereich der Erfindungsgrenze liegen entweder die meisten oder zumindest sehr viele Erfindungen aus den Gebieten der Chemie, der Biotechnologie usw. An solche Erfindungen koppeln sich manchmal riesige Geldbeträge. Hieraus dürfte ersichtlich sein, wie wichtig und wertvoll es ist, wenn die Situation im Bereich der Erfindungsgrenze genau, d.h. wissenschaftlich dargelegt wird.

Die Möglichkeiten der Übergänge von den patentwürdigen Aggregationen und von den gemischten Formen von Erfindungen bis in den Stand der Technik, d. h. bis zur identischen Vorveröffentlichung derselben, sind eher selten. Denn in solchen Fällen weist der jeweilige Patentanspruch so viele Merkmale auf, dass es eher als unwahrscheinlich erscheint, dass man im Stand der Technik ein einziges Dokument findet, welches alle Merkmale eines solchen Patentanspruchs neuheitsschädlich vorwegnehmen würde. Wenn ein relevantes Dokument im Stand der Technik gefunden wird, dann bleibt in solchen wortreichen Patentansprüchen meistens etwas übrig, was man immer noch für eine Erfindung halten kann.

Die drei Wege zu einer Erfindung

Zusammenfassend kann man sagen, dass es nur drei Wege zu einer Erfindung gibt:

1. Kombination bekannter Elemente
Zur Lösung eines Problems werden ganz bestimmte bekannte Elemente des Standes der Technik ausgewählt und diese Elemente werden in ganz bestimmte räumlich/zeitliche Beziehungen zueinander gebracht. Neue Lösungen technischer Probleme, wenn sie die Voraussetzungen für eine Erfindung erfüllen, werden Kombinationserfindungen genannt und sie können patentiert werden. Im Buch „Erfindungs - und Patentlehre" von S. Kulhavy, Carl Heymanns Verlag, 2010, gibt es dazu die Beispiele D und E.

2. Verwendung eines bekannten technischen Mittels
Wenn bei einem bereits bekannten technischen Mittel eine Eigenschaft (Auswirkungsfähigkeit) entdeckt wird, welche bei diesem bekannten technischen Mittel noch nicht bekannt war, und wenn zumindest eine technische Anwendbarkeit dieser Wirkungsfähigkeit genannt wird, dann kann es sich um die sogenannte Verwendungserfindung handeln. Ein typisches Beispiel für diese Art von Erfindungen stellt das weltberühmte Insektenvertilgungsmittel DDT dar. Als das bekannte technische Mittel diente in diesem Fall das Dichlor-Diphenyl-Trichloäthan.

Man hat entdeckt, dass dieser Stoff eine Auswirkungsfähigkeit besitzt, die bei diesem Stoff noch nicht bekannt war. Er kann als ein sehr wirksames Berührungsgift für Insekten aller Art (offenbar mit Ausnahme von Bienen) dienen. Dies war der Grund, warum DDT seinerzeit als Insektenvertilgungsmittel patentiert wurde, obwohl das Dichlor-Diphenyl-Trichloäthan zum damaligen Stand der Technik gehörte.

3. Verbindung der Wege 1 und 2
Es kann auch eine neue Lösung eines technischen Problems geben, in welcher die soeben genannten Typen von Erfindungen miteinander kombiniert, bzw. gemischt sind. Im genannten Buch „Erfindungs - und Patentlehre" von S. Kulhavy befindet sich das Beispiel R, das eine gemischte Erfindung darstellt.

Eine mögliche Zukunft dieser materiellen Prüfungsweise

Damit die Lösung einer Aufgabe als eine Erfindung gelten kann, muss die Lösung die folgenden drei Merkmale erfüllen: sie muss gewerblich anwendbar und neu sein und sie darf sich aus dem Stand der Technik nicht in naheliegender Weise ergeben. Eine Erfindung muss somit diese drei Merkmale bzw. Parameter erfüllen, damit sie patentiert werden kann. Das letzte dieser drei Merkmale wird auch „drittes Erfindungsmerkmal" genannt. In der Vergangenheit hat dieses dritte Erfindungsmerkmal eine Entwicklung durchgemacht.

Im 19. Jahrhundert gab es in Europa kein drittes Erfindungsmerkmal während der Prüfung von Erfindungen. Im Jahr 1906 kam der Patentanwalt Richard Wirth mit der Idee, ein drittes Erfindungsmerkmal einzuführen und er benannte dieses Merkmal Erfindungshöhe. Es gab dann einige Vorbehalte gegen das Wort Erfindungshöhe. Aber es war ein hübsches Wort und ausserdem gab es zur Durchführung der Prüfung auf das dritte Erfindungsmerkmal sonst nichts. Etwa von 1920 bis 1970 laborierte man mit dem Erfindungsmerkmal „technischer Fortschritt". Diesem Merkmal hafteten einige Probleme an und deswegen kam dieses Merkmal praktisch nicht grossflächig in Gebrauch.

Eine entscheidende Änderung der Situation brachte die Einführung des Europäischen Patentübereinkommens mit sich. Dieses fegte alle bisherigen dritten Merkmale in Europa einfach weg und es benannte das dritte Erfindungsmerkmal „erfinderische Tätigkeit". Die erfinderische Tätigkeit hat mit den früheren dritten Erfindungsmerkmalen etwas gemeinsam, nämlich, sie ist auch ein unbestimmter Rechtsbegriff. Das dritte Erfindungsmerkmal heisst im US-Patentgesetz „non obviousness". Dies kann mit „nicht naheliegend" übersetzt werden. Dieses Merkmal ist am Ende des 19. Jahrhunderts in den USA eingeführt worden. Auch „non obviousness" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff.

Es ist sehr schwierig sich vorzustellen, was „non obviousness" bedeuten kann, wenn man es nicht genau weiss, was „obviousness" bedeutet. Probleme, die eine solche „Abgehobenheit" des Wortlauts des bisherigen dritten Erfindungsmerkmals verursacht, dürften sattsam bekannt sein. Die Definition einer naheliegenden Lösung lautet wie folgt: „Eine gewerblich anwendbare Lösung einer Aufgabe ergab sich in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik, wenn zur Lösung der Aufgabe ein bekanntes technisches Mittel aufgrund einer kausalen Auswirkungsfähigkeit neu verwendet wurde, die sich im Voraus kausal ableiten liess oder die bei diesem Mittel bereits bekannt war." Vorstehend wurde auch dargelegt, wie diese Definition so gehandhabt werden kann, dass Erfindungen beurteilt werden können, ohne Wertungsurteile anwenden zu müssen. Aus solchen Gründen könnte man annehmen, dass diese Beurteilungsweise der Erfindungen eine breite Anwendung finden wird.

Die scharfe Grenze zwischen den Erfindungen und den Evoluten

Der erste Grund dafür, dass die Grenze zwischen den Erfindungen und den Evoluten scharf ist, besteht darin, dass die Bedeutung aller Begriffe, die sich in der Definition einer naheliegenden Lösung befinden, anhand einer Recherche im Stand der Technik genau festgestellt werden kann.

Der Unterschied zwischen den Kombinationen und den Übertragungen ist dermassen deutlich, dass es keine Überschneidungen in den Ansichten über die Patentwürdigkeit bei diesen zwei Typen von Lösungen geben kann. Überschneidungen kann es innerhalb der Zone der Übertragungen geben. Hier kommt der Evolut 2 den patentwürdigen Verwendungen am nächsten. Die „Zauberformel" zur Unterscheidung zwischen diesen zwei Typen von Lösungen lautet wie folgt: „im Voraus kausal ableitbare neue Auswirkungsfähigkeit des lösungsgemäss verwendeten bekannten technischen Mittels".

Bei patentwürdigen Verwendungen (linke Seite der Übertragungszone in Abb. 1) ist die beim bekannten technischen Mittel entdeckte und in diesem Sinne bei diesem Mittel neue Auswirkungsfähigkeit kausal im Voraus nicht ableitbar. Bei Evoluten 2 (rechte Seite der Übertragungszone in Abb. 1) ist die neue Auswirkungsfähigkeit des bekannten technischen Mittels im Voraus kausal ableitbar. Bei den Evoluten 1 war die lösungsgemäss ausgenützte Auswirkungsfähigkeit des bekannten technischen Mittels dagegen bereits bekannt. Dies stellt einen deutlichen Unterschied zwischen den Evoluten 1 und den patentwürdigen Verwendungen dar.

Eine „Sieb"-Allegorie

In einem Patentamt stehen viele Patentanmeldungen zur Prüfung an. Die Inhalte der Patentanmeldungen können Erfindungen oder Evolute sein. Solche Patentmeldungen stellen ein Gemisch dar. Um welche Art des Inhaltes es sich in der jeweiligen Patentanmeldung handelt, zeigt sich erst am Ende der Prüfung des Inhaltes der Patentanmeldungen. Während dieser Prüfung müssen die Erfindungen und die Evolute voneinander getrennt werden. Dies geschieht anhand der Definition einer naheliegenden Lösung, d. h. eines Evoluts. Eine Erfindung ist eine nicht naheliegende Lösung. Erfindungen und Evolute stellen somit eine Alternative dar!

Wegen der Anwendung der Definition einer naheliegenden Lösung (d. h. eines Evoluts) während der Beurteilung von Erfindungen scheint ein logischer Widerspruch in dieser Prüfungsmethode zu bestehen. Interessant sind die Erfindungen und sie werden anhand der Definition einer naheliegenden Lösung aus der Menge der zu beurteilenden Patentanmeldungen, d. h. anhand des Gegenteiles derselben „ausgesiebt". Möglicherwiese hat jemand Probleme mit dem Verständnis einer solchen Methode zur Unterscheidung zwischen den Erfindungen und den Evoluten aufgrund der Definition einer naheliegenden Lösung.

Man stelle sich vor, dass die Erfindungen und die Evolute Kugeln sind. Diese Kugeln bilden ein Gemisch. Die Aufgabe lautet, die Erfindungskugeln von den Evolutkugeln zu trennen. Dabei will man nur die Erfindungen behalten. Die Evolute können ad acta gelegt werden. Bekanntlich ist die Bedeutung der Erfindungen grösser als die der Evolute. Deswegen darf man annehmen, dass die Erfindungskugeln einen grösseren Durchmesser haben als die Evolutkugeln. Ferner soll man sich ein Sieb mit runden Löchern vorstellen. Der Durchmesser der Löcher in einem solchen Sieb entspricht dem Durchmesser der Evolutkugeln. Folglich können die Erfindungskugeln durch diese Sieblöcher nicht durchfallen.

Das Gemisch aus den beiden Sorten von Kugeln wird auf das obere Ende des Siebs geschüttet. Da die Grösse des Durchmessers der Löcher in der Siebplatte durch die Definition einer naheliegenden Lösung bestimmt ist, fallen nur die Evolutkugeln durch die Löcher in der Siebplatte hindurch. Die Erfindungskugeln, deren Durchmesser grösser ist als der Durchmesser der Sieblöcher ist, rollen entlang der Siebplatte weiter, bis sie am Ende der Siebplatte zwecks Patentierung zur Verfügung stehen. Die Erfindungskugeln, d. h. die Erfindungen gehen ja über den Wortlaut der Definition einer naheliegenden Lösung hinaus.

Erfindungen können unterschiedlich gewichtig sein. Dementsprechend könnten die Erfindungskugel unterschiedlich grosse Durchmesser haben. Diesen Durchmessern ist es jedoch gemeinsam, dass sie grösser sind als der Durchmesser der Evolutkugeln. Deswegen gelangen auch die unterschiedlich gewichtigen Erfindungskugeln bzw. Erfindungen bis an das rechts liegende Endes des Siebes. Hiernach werden für die Erfindungen, die unterschiedliche Wichtigkeiten aufweisen können, dennoch Patente mit gleicher rechtlicher Wirkung erteilt.


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