Highlights aus der chinesischen IP-Welt 2019


P. Rosenich (LI)P. Rosenich (LI)


China hat ein extrem junges IP-System. Erst in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts wurden Patentgesetze und Markengesetze eingeführt. Im Unterschied dazu existieren in der westlichen Welt bereits seit dem Mittelalter - jedenfalls aber seit über zweihundert Jahren – Patentgesetze.

Chinesische Patentanwälte

Es gibt heute in China über 2.000 registrierte Patentanwaltskanzleien. Diese beherbergen über 14.000 geprüfte Patentanwälte. Im Schnitt wären das 7 Patentanwälte pro Kanzlei, tatsächlich dominieren jedoch Großkanzleien das chinesische IP-Wesen. Hier gibt es einen deutlichen Unterschied zu Europa.

Im Vergleich zu Europa, wo es etwa 12.500 europäische Patentvertreter für das gesamte Territorium gibt und zusätzlich noch eine wenigstens gleich grosse Anzahl von nationalen Patentanwälten tätig sind, sind in China relativ weniger Patentanwälte für ein vergleichsweise wesentlich grösseres Territorium tätig.

Produktivität der Patentanwaltsleistungen

Ca. 300.000 europäischen Patentanmeldungen/Jahr stehen weit über 1.500.000 chinesische Patentanmeldungen/Jahr und nochmals etwa die gleiche Anzahl an chinesischen Gebrauchmusteranmeldungen gegenüber.
Das bedeutet aber auch, dass in China relativ mehr Patentanmeldungen/Gebrauchsmusteranmeldungen von den in China tätigen Patentanwälten geschrieben und eingereicht werden als in Europa. Man könnte sagen – betrachtet man nur die Anmeldezahlen –, dass die Produktivität der chinesischen Patentanwälte fünfmal-zehnmal grösser ist. Ein konkretes Beispiel: 65 Patentanwälte einer bestimmten chinesischen Kanzlei bewältigen ca. 1800 Patentanmeldungen/Jahr d.h. im Schnitt reicht jeder Patentanwalt alle dreizehn Tage eine neue Patentanmeldung ein. Zusätzlich zu diesem Arbeitspensum bewältigen diese 65 Patentanwälte z.B. noch rund 800 PCT-Patentanmeldungen pro Jahr für chinesische Firmen. Alle anderen Patentanwalts-Tätigkeiten, wie Beratungen, Marken- und Design-Anmeldungen, Betreuung von Streitfällen usw. laufen natürlich auch noch nebenher.

Insgesamt arbeiten in einer chinesischen Patentanwalts-Kanzlei typischerweise jedoch wesentlich mehr Personen. Kanzleien mit über 1000 Mitarbeitern - verteilt auf mehrere Städte - sind keine Seltenheit. Ca. 100 Beschäftigte/Patentanwaltskanzlei sind guter Standard und der Footprint dieser vielen Arbeitskräfte am Arbeitsplatz ist typischerweise relativ klein, da die Mietkosten für Büroräume in den Großstädten relativ teuer sind. Ein Arbeitsplatz verbraucht selten mehr als 2 m2 Bürofläche. In Europa sind demgegenüber kleinere Kanzleigrössen üblich und nur einige wenige Kanzleien haben mehr als zwei Dutzend Mitarbeiter. Diese haben dafür relativ große und schöne Büros.

Effekte der Massenproduktion

Durch die Massenproduktion an Patentanmeldungen fehlt in China oftmals noch die in Europa übliche Qualität der Patentanmeldungen. Dies führt oftmals zu mangelndem Schutz für chinesische Firmen in Europa. Das wird jedoch von etlichen Konzernen in China schon erkannt, die dementsprechend reagieren und qualitätssteigernde Massnahmen einleiten. Insgesamt ist damit zu rechnen, dass aus China mehr und mehr wertvolle Schutzrechte in alle Welt getragen werden, denn der Wille von Regierung und Bevölkerung ist groß, an die Technologie-Spitze zu kommen. Auch werden Kooperationen mit westlichen Spezialisten gesucht und mit offenen Armen eingegangen.


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Legislative und Exekutive

Die Patentgesetze sowie das Patentamt und auch die Gerichte dürfen als sehr gut etabliert und auf hohem Niveau als gut funktionell eingestuft werden. Die Ausbildung und der Berufsstand eines Patentanwalts und eines Patentprüfers sowie von IP-Richtern sind angesehen und kompatibel mit westlichen Standards.

Wechselwirkung zwischen Innovatoren

Der Drang der chinesischen Wirtschaft nach oben geht einher mit einer emsigen Innovationstätigkeit, die oftmals auch an das konfuzianische Denken erinnert, wo das Kopieren einer guten (westlichen) Innovation etwas Ehrenvolles ist. Heute ist ein solches „Kopieren“ jedoch meistens auch mit einer „Weiterentwicklung“ der übernommenen Innovation verbunden. Dies bevorzugt nach dem Gedanken-Prinzip des „Leapfroggings”. Dabei geht es darum, die Weiterentwicklung so erfolgreich zu platzieren, dass herkömmlich übliche Entwicklungsschritte einfach ausgelassen werden. Trotz des staatlich gelenkten Prinzip des Leapfroggings reichen chinesische Firmen oftmals aber auch nur kleine marginale Verbesserungen von bereits bestehenden Schutzrechten ihrer Mitbewerber als eigene Patentanmeldungen ein, wodurch Basisinnovatoren in China oftmals selbst zu Patentverletzer werden, da sie in ihrer normalen Geschäftsgebarung auch inkrementale Verbesserungen vornehmen und damit letztlich in die neuen Schutzrechte der „Nachahmer” fallen.

Unterstützung durch Defensivpublikationen

Um hier gewappnet zu sein, bleibt den chinesischen und nicht-chinesischen Entwicklern weltweit keine andere Wahl, als selber vorausschauend zu patentieren und mehr noch auch dafür zu sorgen, dass mittels Defensivpublikationen z.B. via dem europäischen Anbieter Protegas AG auch kleinere Entwicklungsschritte unmittelbar als Stand der Technik gesichert werden, so dass später eingereichten Patenten von „Nachahmern” wirksam entgegen getreten werden kann.

Zukunftsaussicht

In jedem Fall darf in China damit gerechnet werden, dass das chinesische IP-Wesen in Zukunft neben dem unbestrittenen ersten Platz in quantitativer Hinsicht in Zukunft auch eine vorderen Platz in qualitativer Hinsicht erreichen wird, denn die chinesischen Firmen drängen auf den Weltmarkt und wollen dort wirksam verhindern, dass ihre eigenen Innovationen einfach kopiert werden. Dies führt automatisch zu einem Erstarken des Rufs nach hoher Patent-Qualität und Durchsetzbarkeit. Im westlichen Ausland haben diese Firmen nämlich keinen sprachbedingten Heimvorteil mehr.


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Erforderliche Massnahmen

Um hier nicht den Anschluss im freien Wettbewerb zu verlieren, muss Europa auf der Hut sein und weiter und noch mehr das europäische IP-sowie Innovations-Wesen fördern. Protektionistische Massnahmen à la Trump-Administration sind à la long sicher ein Schritt in die falsche Richtung, weil sie das Bemühen der Mitbewerber zusätzlich anstacheln und weil sie die eigene Innovation als nicht mehr vordringlich erscheinen lassen, da sie durch Protektion ersetzt wird. Protektionismus führt daher zum Zurückgang der eigenen Innovationsleistung.

Europäische Startup Szene

Es genügt aber auch nicht – wie gegenwärtig auch hierorts sehr modern - Startups in Europa dadurch zu fördern, dass durch marketingartige „Behübschung” der Startups künstlich deren Firmenbewertung nach oben geschraubt wird, ohne echte Basisinnovation zu realisieren. Es muss vielmehr dort der Hebel angesetzt werden, wo man konkrete Innovationsarbeit leistet: Nämlich aus technischer Sicht bestehende Produkte und Herstellverfahren verbessert oder durch bessere Produkte und Herstellverfahren ersetzt. Daran führt kein Weg vorbei.


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