„Aufgabe – Lösung“ unter einem Fragezeichen.

S. V. Kulhavy (CH)


Das Junktim „Aufgabe-Lösung“ scheint im EPA eines der Hauptinstrumente zur Ermittlung der Tatsache zu sein, ob eine gewerblich anwendbare und neue Lösung auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht oder nicht (Art. 56 EPÜ). Bei der Bindung zwischen den Ausdrücken „Aufgabe“ und „Lösung“ dieses Junktims kann sich, nach diesseitiger Ansicht, nur die Frage stellen, ob die genannte Aufgabe durch die definierte Lösung gelöst werden kann oder nicht. Die Voraussetzung sine qua non dafür, dass eine Erfindung vorliegt, ist die Tatsache, dass die Lösung die genannte Aufgabe löst. Wenn man die gerade genannte Einschränkung des Junktims zwischen den Ausdrücken „Aufgabe“ und „Lösung“ akzeptiert, dann muss man sich fragen, wie man in einer sonstigen Weise ermitteln könnte, ob eine gewerblich anwendbare und neue Lösung auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht oder nicht?

Wenn man eine andere Methode zur genannten Unterscheidung finden will, dann braucht man nur eine Stufe tiefer unter das Junktim „Aufgabe-Lösung“ herabzusteigen. Die geprüfte Lösung ist in einem Patentanspruch definiert. Befassen wir uns vorläufig nur mit dem zweiteiligen Patentanspruch. Im kennzeichnenden Teil dieses Patentanspruchs ist die Differenz der geprüften Lösung gegenüber dem Inhalt des nächstliegenden Dokuments des Standes der Technik definiert. Diese Differenz gilt als die kausale Ursache dafür, dass die in den Unterlagen genannte Aufgabe gelöst werden kann. Nennen wir diese Differenz daher technisches Mittel, das zur Lösung einer Aufgabe bestimmt ist.

Das technische Mittel kann die Aufgabe deswegen lösen, weil es die dazu erforderliche technische Wirkungsfähigkeit aufweist. Wir befinden uns auf der Gebiet der Kausalität! Die Wirkungsfähigkeit konnte den Fachmann dazu motivieren, das technische Mittel zur Lösung der gegebenen Aufgabe zu verwenden, falls diese Wirkungsfähigkeit beim lösungsgemäss verwendeten technischen Mittel bereits bekannt war. Eine solche Lösung, obwohl sie gewerblich anwendbar und neu ist, ergab sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik (Art. 56 EPÜ). Dies deswegen, weil das Bekanntsein der Wirkungsfähigkeit bei einem bekannten technischen Mittel den Fachmann zur lösungsgemässen Anwendung eines solchen Mittels geführt hat.

Andererseits gibt es Lösungen von Aufgaben, die gelöst werden konnten, obwohl kein technisches Mittel zum relevanten Stand der Technik gehörte, bei dem es bekannt war, dass es die zur Lösung der Aufgabe erforderliche Wirkungsfähigkeit aufweist. Diese Situation ist in zwei grundsätzlichen Fällen möglich. Im ersten dieser Fälle gab es das lösungsgemäss verwendete technische Mittel noch nicht. Im zweiten der grundsätzlichen Fälle ist die lösungsgemäss erforderliche Wirkungsfähigkeit bei einem bereits bekannten technischen Mittel erst entdeckt worden. In den erst genannten Fällen liegt eine Kombinationserfindung vor. In den auf der zweiten Stelle genannten Fällen liegt eine Erfindung vom Typ Verwendung vor.

In Opposition zu diesen zwei gerade genannten Fällen liegt die Situation, die hier zunächst dargelegt wurde, nämlich, die nicht patentwürdige naheliegende Lösung. Die naheliegenden Lösungen bilden eine Alternative zu den nicht naheliegenden Lösungen – Art. 56 EPÜ! Wenn es umständlich ist, eine Definition der nicht naheliegenden Lösungen zu finden, dann kann man die Definition einer naheliegenden Lösung aufstellen. Dies deswegen, weil die Struktur der naheliegenden Lösungen wesentlich einfacher ist als die Struktur der Erfindungen. Diese Definition lautet wie folgt:

„Eine gewerblich anwendbare und neue Lösung ergab sich in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik, wenn ein bekanntes technisches Mittel aufgrund der bei diesem Mittel bekannten Wirkungsfähigkeit neu verwendet wurde.“

Die Anwendung dieser Definition erfolgt in folgender Weise. Man untersucht, ob die geprüfte Lösung, bei der es bereits feststeht, dass sie gewerblich anwendbar und neu ist, unter die Definition einer naheliegenden Lösung fällt oder nicht. Wenn nicht, dann gilt die geprüfte Lösung, bei der es bereits feststeht, dass sie gewerblich anwendbar und neu ist, als Erfindung. Wenn es sich während der Prüfung eines Falles herausstellt, dass die Differenz, d. h. der Inhalt des kennzeichnenden Teiles eines zweiteiligen Patentanspruchs, d. h. das lösungsgemäss verwendete technische Mittel als neu gilt, dann nimmt man es an, dass keines der Mittel des Standes der Technik in der Lage war, die Aufgabe so zu lösen wie das neue technische Mittel. Es handelt sich um eine Erfindung, nämlich um eine Kombinationserfindung. Wenn die geprüfte Lösung in einem Verwendungsanspruch definiert ist, dann geht man ebenfalls davon aus, dass keines der Mittel des Standes der Technik in der Lage war, die Aufgabe so zu lösen wie das im Verwendungsanspruch definierte technische Mittel. Auch in solchen Fällen handelt es sich um eine Erfindung.

Wenn eine gewerblich anwendbare und neue Lösung unter die Definition einer naheliegenden Lösung nicht fällt, d. h. wenn sie über diese Definition hinausgeht, dann stellt diese Lösung eine Erfindung dar. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um eine Kombinationserfindung, An- bzw. Verwendungserfindung, Auswahlerfindung usw. handelt.

Der Schwerpunkt dieser Prüfungsweise der Erfindungen liegt bei der Frage, ob die geprüfte Lösung naheliegend war oder nicht. Dies mag zunächst als ein Widerspruch erscheinen, weil es bei der Prüfung um Erfindungen und nicht um naheliegende Lösungen geht. Eine der wohl wichtigsten Aufgaben der Patentämter ist zu verhindern, dass naheliegende Lösungen patentiert werden. Diese Aufgabe können die Patentämter am einfachsten erfüllen, wenn sie genau wissen, welches die naheliegenden Lösungen sind. Dies zeigt den Patentämtern die Definition einer naheliegenden Lösung.

Diese Art und Weise der Prüfung von Erfindungen ist im Buch von S. Kulhavy „Erfindungs- und Patenlehre“, Carl Heymanns Verlag, Köln 2010, anhand zahlreicher Beispiele im Einzelnen erläutert.


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